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Mit Haaren Krebspatienten helfen

„Ein Mensch, der sich nicht wohl fühlt, kann keine Kraft tanken, um gesund zu werden“, sagt Angelika Körfer.

VON GÜNTHER VON FRICKEN

NORDKREIS „Bleib immer du selbst und bleib bei dir.“ Das ist eine Textzeile aus einem Song der Berliner Rockband Die Ärzte, die bei der 13-jährigen Mona Scholven nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. „Hier singt die Band vom Selbstbewusstsein“, sagt sie. Und das hat sie jetzt an den Tag gelegt, als sie die Entscheidung traf, ihre langen Haare abschneiden zu lassen.

Das ist ein Wunsch, den sie eigentlich schon vor einem Jahr hatte. Doch damals, so erzählt sie, sei eben das Selbstbewusstsein noch nicht groß genug gewesen. Und da war noch etwas anderes: Die Haare waren noch nicht lang genug. Denn Mona hatte sich fest vorgenommen, ihre Haarpracht zu spenden. Und dazu ist eine Haarlänge von mindestens 35 Zentimetern erforderlich. Die war jetzt endlich erreicht.

Von Fernsehserie inspiriert

„Meine Mutter war erst skeptisch, aber inzwischen findet sie es auch klasse. Und mein Vater hat mich bei meinem Wunsch unterstützt, zumal wir uns lange über das Thema unterhalten hatten.“ Zum Beispiel, warum Menschen auf der Krebsstation oft keine Haare haben. Und dass der Vater, von Beruf Bestatter, verstorbene Krebspatienten mit Perücke beerdigt, berichtet die Schülerin, die die siebte Klasse des Baesweiler Gymnasiums besucht.

„Während meiner Chemo habe ich andere Erkrankte kennengelernt, die Perücken trugen, und mich mit dem Thema auseinandergesetzt.“ Angelika Körfer, Vereinsvorsitzende

Die TV-Serie „Club der roten Bänder“, bei der es um jugendliche Krebspatienten geht, hatte bei ihr viele Fragen aufgeworfen, mit denen sie sich intensiv beschäftigte. Und so wuchs ihr Entschluss, die eigenen langen, blonden Haare zu spenden. „Natürlich habe ich mich auch gefragt, wie meine Schulfreunde reagieren, aber sie haben alle gesagt, dass das schön ist und sich auch selbst für das Thema interessiert“, sagt Mona. Ihr Vater begleitete sie zum Friseur. Und zusammen machten sich die beiden dann auch auf die Suche nach einer Organisation, bei der sie die Haarspende in guten Händen wissen.

Gar nicht so weit von ihrem Heimatort entfernt, in Kohlscheid, fanden sie die richtige Adresse. Und zwar mit dem Verein „Haarschnitt mit Herz“, dessen Vorsitzende Angelika Körfer ist. Ziel dieses Vereins ist es, die Lebensqualität erkrankter Menschen zu verbessern. Dabei sammeln Angelika Körfer und ihre zwölf Mitstreiterinnen unter anderem Haarspenden für überwiegend an Krebs erkrankte Menschen, um die Zuzahlungen, die für Perücken nötig sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten auszugleichen. „Anfang 2013 bin ich an Brustkrebs erkrankt. Aufgrund meiner Erfahrungen während der Erkrankung habe ich über Facebook eine Gruppe gegründet und schnell erkannt, dass mir Helfen hilft und die Hilfe bei erkrankten Menschen dringend nötig ist“, schildert die heute 50-jährige alleinerziehende Mutter. Sie ist nicht nur Gründerin des Vereins „Haarschnitt mit Herz“, sondern darüber hinaus des Vereins „Bürgerhilfe“, in dessen Räumen am Kohlscheider Markt jetzt beide Initiativen angesiedelt sind.

„Während meiner Chemo habe ich andere Erkrankte kennengelernt, die Perücken trugen, und mich mit dem Thema auseinandergesetzt“, schaut sie auf die Anfänge ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zurück, die übrigens aktuell durch die Auszeichnung „Ehrwin des Monats“ vom WDR gewürdigt wird. „Mit dem Verein ist wirklich heftig was ins Rollen gekommen“, sagt Angelika Körfer, die Haarspenden aus ganz Europa sammelt und dafür von den rund 80 Perückenmachern, mit denen sie zusammenarbeitet, eine Gutschrift erhält. „Anhand dieser Gutschriften verpflichtet sich der Verein, im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten nötige Zuzahlungen für qualitativ höherwertiges Zweithaar zu übernehmen. Denn die Zuzahlungen der gesetzlichen Krankenkassen fallen leider gering aus, für Männer gibt es sogar gar keinen Zuschuss zum Zweithaar“, sagt sie weiter.

Meist sind es nicht die Erkrankten selbst, die sich beim Verein melden, sondern Familie oder Freunde, die auf benötigte Hilfen aufmerksam machen. Und dabei geht es mittlerweile nicht mehr nur um die Perücken, sondern auch um Lebensmittel, Medikamente, Tankgutscheine oder Spielzeug für Kinder, das beispielsweise kürzlich nach Russland verschickt wurde.

Bekommt Angelika Körfer Haarspenden, so werden diese gesammelt und nach Struktur und Länge sortiert, ehe sie zum Perückenmacher weitergeschickt werden. „Eine hochwertige Perücke kostet dort rund 600 bis 650 Euro, die Krankenkasse trägt davon rund 350 Euro. Bei Alopecia-Patienten sind die Kosten sogar noch höher. „Das ist schon eine Hausnummer. Deshalb möchte ich helfen, denn ein Mensch, der sich nicht wohl fühlt, kann auch keine Kraft tanken, um gesund zu werden. Ich möchte dann einfach nur unkompliziert helfen“, betont sie. Derzeit können alle Anfragen erfüllt werden, und wenn der Verein einen Überschuss erwirtschaftet, dann wird dieser an die Deutsche Krebshilfe oder die DKMS gespendet.

Erschienen in der Aachener Zeitung, 03.02.2022